Deletäre Mutationen in den Tumorsuppressorgenen BRCA1 und BRCA2 sind mit erhöhten
Risiken für Brust- und Ovarialkrebs assoziiert. Diese so genannten Brustkrebs-Gene wurden allerdings
auch mit genetischer Suszeptibilität für Prostatakrebs (PCa) in Verbindung gebracht.
Bislang basieren nur wenige Abschätzungen des absoluten PCa-Risikos für Träger von BRCA1/2-Mutationen
auf retrospektiven Studien. Diese könnten das Risiko für Träger von Mutationen angesichts der rapide
ansteigenden PCa-Inzidenz in der PSA-Test-Ära nicht realitätsgetreu widerspiegeln.
In einer prospektiven Kohortenstudie sollten die mit BRCA1/2-Mutationen im Zusammenhang
stehenden relativen und absoluten Risiken abgeschätzt
und die mit Alter, familiärer Belastung und Mutationslokalisation verbundenen Risikomodifikationen ermittelt werden.
Es handelte sich um eine prospektive Kohortenstudie mit männlichen BRCA1- (n = 376) und
BRCA2-Trägern (n = 447), die in englischen und irischen Klinikzentren mit humangenetischer Fachkompetenz
identifiziert worden sind (medianes Follow-up 5,9 bzw. 5,3 Jahre).
|
|
|
Abb.: Absolutes PCa-Risiko gemäß Lokalisation der BRCA2-Mutation innerhalb vs.
außerhalb der OCCR (ovarian cancer cluster region, weite Definition)
|
Es wurden standardisierte Inzidenz/Mortalitäts-Verhältnisse (SIRs/SMRs) in Relation zu den Inzidenz- oder Mortalitätsraten
in der Bevölkerung sowie zu absoluten Risiken und Hazard Ratios (HRs) analysiert.
PCa-Risiken für BRCA1- und BRCA2-Träger:
Von 376 Trägern einer BRCA1-Mutation und 447 Trägern einer BRCA2-Mutation war bei 16 bzw. 26 Männern
während eines Follow-up von median 5,9 bzw. 5,3 Jahren PCa diagnostiziert worden.
Die Inzidenz von Prostatakrebs war bei den Trägern einer BRCA1-Mutation oder einer BRCA2-Mutation
deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (SIR: 2,35 bzw. 4,45).
In den Altersgruppen der <65jährigen und der ≥65jährigen BRCA1-Träger ergaben sich SIRs von 3,57 bzw. 1,86.
Bei den BRCA2-Trägern waren es entsprechend 3,99 bzw. 4,64.
Im Alter von 75 Jahren hatten BRCA1-Träger ein absolutes PCa-Risiko von 21% und von 29% mit 85 Jahren.
Die entsprechenden PCa-Risiken für BRCA2-Träger betrugen 27% bzw. 60%.
PCa-Risiken für BRCA1/BRCA2-Träger und familiärer Belastung mit Prostatakrebs:
Für Träger von BRCA1- oder BRCA2-Mutationen und familiärer PCa-Belastung ist das SIR mit 3,17 bzw. 7,31
nochmals deutlich erhöht. Die entsprechenden SIRs für BRCA1- oder BRCA2-Träger ohne
familiäre Belastung mit PCa waren 2,34 bzw. 3,87. Bei BRCA2-Trägern belief sich das
Hazard Ratio (HR) pro betroffener Verwandter auf 1,68.
Abhängigkeit des PCa-Risikos von der Lokalisation der Mutation im BRCA2-Gen:
Männer mit einer BRCA2-Mutation, die innerhalb der zentralen Region des Gens (c.2831–c.6401;
ovarian cancer cluster region [OCCR]) liegt, hatten ein signifikant geringeres PCa-Risiko als Männer mit
einer Mutation außerhalb dieser Region (HR 0,37).
Andererseits waren Mutationen sowohl innerhalb (SIR 2,46) als auch außerhalb (SIR 5,88) der OCCR
mit einem höheren PCa-Risiko als dem der Bevölkerung assoziiert.
Bei Gruppierung der BRCA2-Mutationen unter Anwendung einer verengten Definition der OCCR (c.3847–c.6275), war der
Unterschied des PCa-Risikos für Mutationen innerhalb und außerhalb des OCCR abgeschwächt (HR 0,42).
Die entsprechenden Kaplan-Meier-Kurven zeigen vergleichbare Risiken für jüngere Träger von OCCR- und
Nicht-OCCR-Mutation mit starker Abweichung im höheren Alter (Abb.).
❏ Träger einer BRCA2-Mutation haben ein hohes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken –
insbesondere an aggressivem Prostatakrebs.
❏ Dieses Risiko wird durch familiäre Belastung mit Prostatakrebs und/oder die Lokalisation der Mutation im Gen modifiziert.
❏ Die Befunde sind von informativem Wert für die Beratung von Männern, die als Träger einer
BRCA1- oder BRCA2-Mutation bekannt sind.
|
Nyberg T, Frost D, Barrowdale D, et al. 2020.
Prostate cancer risks for male BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: a prospective cohort study.
Eur Urol 77:24-35.
|