Aktuelle Therapie-Ansätze bei neurogener Detrusorüberaktivität: Patientenindividuelle 2line-Therapie mit intravesikalem Oxybutynin
 
Auf einem digitalen Pressegespräch von FARCO-PHARMA präsentierten Experten aus der Neuro-Urologie aktuelle Ansätze für die Therapie der neurogenen Detrusorüberaktivität (Neurogenic Detrusor Overactivity, NDO) mit intravesikalem Oxybutynin, wie z.B. VESOXX®. Die Lösung wird angewendet zur Unterdrückung einer Detrusorüberaktivität aufgrund einer Rückenmarksverletzung oder Meningomyelozele (Spina bifida) bei Kindern ab 6 Jahren und bei Erwachsenen, die ihre Blase mittels sauberer intermittierender Katheterisierung entleeren und nicht adäquat mit oralen Anticholinergika eingestellt sind [1]. Das Unternehmen der Klosterfrau Healthcare Group vertreibt mit VESOXX® das erste und einzige in Deutschland zugelassene intravesikale Oxybutynin-Präparat.

Patienten mit NDO leiden bei suboptimaler Therapie oft unter Folgeerkrankungen, zudem kann sich ihre Lebenserwartung verkürzen [2]. Leitlinien empfehlen für die Erkrankung in erster Linie orale Anticholinergika als Erstlinientherapie [3], die Wirkstoffe rufen nicht selten Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Obstipation hervor [4]. Bei einer Dosiseskalation erhöht sich die Wirkung, aber auch die Nebenwirkungen nehmen zu [4]. „Mit intravesikalem Oxybutynin steht eine Option für die Zweitlinien-Behandlung der NDO zur Verfügung, wenn Patienten nicht adäquat mit oralen Anticholinergika eingestellt sind oder nicht akzeptable Nebenwirkungen auftreten“, erklärte Dr. Almuth Angermund, Schön Klinik Vogtareuth, innerhalb des Pressegesprächs. VESOXX® ist eine Oxybutyninhydrochlorid-Lösung zur intravesikalen Anwendung [1].

Intravesikales Oxybutynin: Multimodaler Wirkmechanismus

Intravesikales Oxybutynin blockiert Muskarinrezeptoren der Harnblase, verringert die prä-synaptische Ausschüttung von Acetylcholin und wirkt direkt spasmolytisch auf den Detrusormuskel [5,6]. Zusätzlich wirkt es direkt am Urothel und inhibiert C-afferente Fasern, wodurch eine lokalanästhetische Wirkung entsteht [6-8]. Intravesikales Oxybutynin senkt den Detrusordruck, überführt ein Hochdrucksystem in ein Niederdrucksystem und schützt dadurch die Nieren langfristig [5, 9-12].

Eine offene, randomisierte, 3-Perioden-, Crossover-Studie mit 20 gesunden Erwachsenen zeigte, dass intravesikal verabreichtes Oxybutynin gegenüber oralem Oxybutynin eine höhere Bioverfügbarkeit aufweist (13). Die direkte Applikation über den Katheter in die Blase lässt durch die Umgehung des intestinalen First- Pass-Effekts im Vergleich zur oralen Therapie weniger Nebenwirkungen für Patienten erwarten [13].

„Mit seiner vielfältigen Wirkweise bietet intravesikales Oxybutynin in der Therapie der neurogenen Detrusorüberaktivität für Patienten eine gute und zur Lebensqualität beitragende Anwendungsoption“, betonte Dr. Sajjad Rahnama'i, Universität Maastricht / Uniklinik Aachen RWTH, in seinem Vortrag.

Die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von intravesikalem Oxybutynin bei NDO wurde in einer randomisierten, prospektiven, aktiv kontrollierten, offenen, multizentrischen Studie mit 35 erwachsenen Patienten über 28 Behandlungstage untersucht [12]. Patienten im experimentellen Arm (n=18) erhielten dreimal täglich 10 ml 0,1% Oxybutyninhydrochlorid intravesikal, Patienten im Kontrollarm (n=17) dreimal täglich 5 mg Oxybutyninhydrochlorid oral [12]. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Veränderung der maximalen Blasenkapazität zwischen dem Beginn der Studie und nach 4 Wochen, bewertet mittels urodynamischer Untersuchungen [12]. Hier führte die intravesikale Gabe von Oxybutynin zu einer Steigerung der maximalen Blasenkapazität um 117 ml gegenüber 18 ml bei oraler Applikation. Die Differenz erwies sich als statistisch signifikant (p=0,0086) [12].

Früher Wechsel zu 2line-Behandlung mit intravesikalem Oxybutynin bei NDO

Dr. Angermund präsentierte weitere Ergebnisse einer umfangreichen Meta- Analyse zu Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von anticholinergen Medikamenten bei der Behandlung von erwachsenen Patienten mit NDO, die zeigen, dass keines der untersuchten Anticholinergika einem anderen überlegen war [14]. „Falls ein Patient mit neurogener Detrusorüberaktitivät ein Antimuskarinum nicht verträgt oder die Wirkung unzureichend ist, sollten Ärzte davon absehen, die oralen Substanzen mehrfach zu wechseln. Vielmehr empfiehlt sich eine schnelle Umstellung auf die intravesikale Behandlung“, führte Dr. Angermund aus.

NDO-Therapie individuell abstimmen: Co-Medikation zur Botulinumtoxin- Behandlung

Daten einer Beobachtungsstudie mit dem Ziel, den Einsatz von oralem Oxybutynin nach der Verabreichung von Botulinumtoxin A bei Patienten mit NDO zu untersuchen, zeigen, dass der Gebrauch von Anticholinergika während der Botulinumtoxin-Behandlung der neurogenen Detrusorüberaktivität eine weitere Anwendungsmöglichkeit darstellt [15]. In der Untersuchung wurden prospektive Daten von 105 Teilnehmern aus zwei italienischen Zentren behandelt [15]. Die Patienten wurden im Rahmen der Studie 30, 120, 180 bzw. 270 Tage (Besuch 1, 2, 3 und 4) nach der Botulinumtoxin-Verabreichung nachbeobachtet [15]. Es zeigte sich ein deutlicher Anstieg des Gebrauchs oraler Anticholinergika bei der Nachuntersuchung nach 180 Tagen von etwa 50% im Vergleich zum vorherigen Besuch und nur noch 2,9% der Patienten waren zu diesem Zeitpunkt ohne zusätzliche anticholinerge Co-Medikation [15].

„Mit individueller Dosierung und dem durch Studiendaten gezeigten günstigen Nebenwirkungsprofil verfügt intravesikales Oxybutynin über gute Eigenschaften, um die Anwendung von Botulinumtoxin bei NDO bedarfsgerecht zu begleiten. Die Instillation kann dazu beitragen, die Zeiträume zwischen den Botulinumtoxin- Injektionen zu verlängern“, erklärte Dr. Rahnama'i. Durch die Injektion von Botulinumtoxin in die glatte Muskulatur des Detrusors wird im Allgemeinen eine Wirkdauer von 8-9 Monaten erreicht [16]. Bei wiederholter Anwendung kann in einzelnen Fällen die Wirkung nachlassen [17].

Red.


Referenzen
[1] VESOXX® Fachinformation Stand: Juli 2020.
[2] Kurze I. Neurogene Blasenfunktionsstörungen (nBFS) bei Spina bifida - aktuelle Behandlungsmöglichkeiten. Teil 1: Konservative und minimal invasive Therapie. ASBH Brief 2012; 04: 34-41; (Fachbeitrag).
[3] Haensch CA, Jost W, Kaufmann A, et al., Diagnostik und Therapie von neurogenen Blasenstörungen, S1-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien. Zuletzt abgerufen am 25.05.2021; (S1-Leitlinie).
[4] Pannek J. Neurogene Blasenfunktionsstörungen bei Querschnittlähmung. In: Michel M. et al. Die Urologie. 2016:1011-1018; (Fachbeitrag).
[5] Murakami S, Yoshida M, Iwashita H, et al. Pharmacological effects of KRP-197 on the human isolated urinary bladder. Urol Int. 2003; 71(3): 290-8; (präklinische Studie an isoliertem humanen Blasengewebe mit Antimuskarinika).
[6] Chapple CR, Yamanishi T, Chess-Williams R. Muscarinic receptor subtypes and management of the overactive bladder. Urology. 2002; 60(5 Suppl 1): 82-88; discussion 88- 89; (Übersichtsartikel).
[7] Kim Y, Yoshimura N, Masuda H, et al. Antimuscarinic agents exhibit local inhibitory effects on muscarinic receptors in bladder-afferent pathways. Urology. 2005; 65(2): 238-42; (präklinische Studie an Ratten mit intravesikalen Antimuskarinika).
[8] De Wachter S, Wyndaele JJ. Intravesical oxybutynin: a local anesthetic effect on bladder C afferents. J Urol. 2003; 169(5): 1892-1895; (präklinische Studie an Ratten mit intravesikalem Oxybutynin).
[9] Hirsch A, Busche R, Leis T, et al. Retrospektive Analyse der Wirksamkeit von Oxybutynin 0,1% Lokaltherapie nach oraler anticholinerger Medikation bei Kindern und Jugendlichen mit neurogener Blasenfunktionsstörung durch neurogene Detrusorhyperaktivität (NDO). Vortrag 18 präsentiert auf der 30. Jahrestagung DMGP, 17.-20. Mai 2017, Ulm, Deutschland; (retrospektive Studie mit intravesikalem Oxybutynin, n=30).
[10] Pannek J, Sommerfeld HJ, Bötel U, Senge T. Combined intravesical and oral oxybutynin chloride in adult patients with spinal cord injury. Urology. 2000; 55(3): 358-62; (prospektive Open-Label Studie mit intravesikalem Oxybutynin in Kombination mit oralem Oxybutynin, n=25).
[11] Humblet M, Verpoorten C, Christiaens MH, et al. Long-term outcome of intravesical oxybutynin in children with detrusor-sphincter dyssynergia: with special reference to agedependent parameters. Neurourol Urodyn. 2015; 34(4): 336-42; (retrospektive Kohortenstudie mit intravesikalem Oxybutynin, n=10 bei Re-Evaluation).
[12] Schröder A, Albrecht U, Schnitker J, et al. Efficacy, safety, and tolerability of intravesically administered 0.1% oxybutynin hydrochloride solution in adult patients with neurogenic bladder: A randomized, prospective, controlled multi-center trial. Neurourol Urodyn. 2016; 35(5): 582-8; (randomisierte, prospektive, aktiv kontrollierte, offene, multizentrische Studie mit oralem oder intravesikalem Oxybutynin, n=35).
[13] Krause P, Fuhr U, Schnitker J, et al. Pharmacokinetics of intravesical versus oral oxybutynin in healthy adults: results of an open label, randomized, prospective clinical study. J Urol. 2013; 190(5): 1791-7; (prospektive, randomisierte Cross-Over Open-Label-Studie (Periode I und II: orales oder intravesikales Oxybutynin, Periode III: intravesikales Oxybutynin), n=20).
[14] Madhuvrata P, Singh M, Hasafa Z, Abdel-Fattah M. Anticholinergic drugs for adult neurogenic detrusor overactivity: a systematic review and meta-analysis. Eur Urol. 2012; 62(5): 816-30; (Übersichtsartikel und Metaanalyse).
[15] Finazzi-Agrò E, Topazio L, Perugia C, et al. The use of oxybutynin in patients treated by means of botulinum neurotoxin A for neurogenic detrusor overactivity: an observational study. Spinal Cord. 2013 Aug;51(8):637-41; (beobachtende, prospektive, nicht-kontrollierte Studie, Anwendung von oralem Oxybutynin nach Botulinumtoxin A Injektion, n=105).
[16] Kaufmann A. Allgemeine operative Therapie bei Patienten mit neurogenen Blasenfunktionsstörungen. In: Michel M, et al. Die Urologie. 2016:1029-1035; (Fachbeitrag).
[17] Weckx F, Tutolo M, De Ridder D, et al. The role of botulinum toxin A in treating neurogenic bladder. Transl Androl Urol. 2016 Feb; 5(1): 63–71; (Übersichtsartikel).







Juni 2021

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